Teil 1: Blog Skitourenreise Chile – Ab zum Lanin
Wir sind da!
Halleluja! Etwas strapaziert vom langen Flug starten wir unsere Skitourenreise Chile in Temuco (Region Araucania, Südchile). Auf uns wartet Sergio, ein entspannt lächelnder Chilene mit Baskenmütze. Gemeinsam mit seiner Schweizer Frau Ivana betreibt er die Suizandina-Lodge in Malalcahuello, unsrem ersten Etappenziel. In seiner Begleitung befindet sich noch Andrés, ein kumpelhafter Kerl mit viel Humor. Er wird uns während der ersten Woche als Fahrer und Kontaktmann zu den Einheimischen zur Seite stehen. In der Lodge angekommen, werden wir herzlich begrüßt und erkunden die Umgebung. Ein märchenhafter Südbuchen Wald, dicht mit grünen Bartflechten bewachsen, beginnt gleich hinter der Haustür. Am Abend stoßen wir mit einem chilenischen Vino Tinto (Rotwein) auf die bevorstehenden zwei Wochen an.
Verregneter Start
Am nächsten Tag geht es trotz miserabler Wetterprognose hinaus in Richtung Corralco, einem kleinem Skigebiet am Fusse des Lonquimay Vulkans. Mit dabei ist noch Fernando, ein lebensfroher Argentinier. Er wird uns die kommenden Tage als zweiter Fahrer begleiten und mir als Guide zur Seite stehen. Bevor es losgeht erklärt er mir noch die Benutzung der Funkgeräte. Da es meistens keinen Handy-Empfang gibt, sind wir auf die Kommunikation per Funk angewiesen. So können wir untereinander und mit unserem Fahrer Andrés in Kontakt bleiben. Für heute bleibt es bei einer ungemütlichen Eingewöhnungstour auf der Piste. Starker Wind und schlechte Sicht fordern uns. Besser den Rest des Tages gemütlich in der Therme zu verbringen! Im warmen Thermalbecken unter freiem Himmel, umgeben von sagenhafter Natur. Ein leckerer Aperitif in der Hand. So lässt sich´s leben!
Am nächsten Morgen klart es kurz auf und wir bekommen den Lonquimay erstmals zu Gesicht. Was gestern nicht möglich war, holen wir heute nach. Leider verschlechtern sich die Sichtverhältnisse wieder recht bald. Aber wir lassen uns den Spaß trotzdem nicht nehmen! Die Abfahrt hinein in die gewaltige Südflanke ist viel besser als erwartet. Der Schnee ist hier ungewohnt anders, viel kompakter, der Untergrund super gleichmäßig. Genial zum Fahren! Unten geht es weiter in einem Lava Kanal, eine Art überdimensionale Half-Pipe die sich während eines Ausbruchs durch die herabfließende Lava gebildet hat. Wir tuben jauchzend hindurch! Am Ende des Kanals biegen wir über die Böschung nach links und stehen wieder am Ausgangspunkt. High five! Am großen Kaminfeuer des Skiresorts machen wir es uns gemütlich und stoßen auf unsere erste gelungene Tour an. Salut.
Das Wetter wird schlechter. Dauerregen macht die Wege zu den Vulkanen zu gefährlich zu befahren. Aber zum Glück gibt es Alternativen: Heute steht das Naturerlebnis im Conguillio Nationalpark auf dem Programm. Nachdem wir uns vor lauter Gequatsche verfahren haben, platzt auch noch ein Reifen. Eine Autopanne. Doch unsere beiden Fahrer Max und Fernando haben die Situation im Griff und bald haben wir den Ersatzreifen montiert. Wir nutzen die Zeit um Araukarien aus der Nähe zu bewundern. Der urtümliche Baum ist der Namensgeber der Region in der wir uns gerade befinden und heilig für deren Ureinwohner.
Unser Ziel ist ein Ort mystischer Schönheit: die Laguna Captrén. Sie liegt am Fusse des Llaima Vulkans umgeben von Urwald. Wir fahren soweit es geht mit dem Auto und gehen dann mit den Fellen weiter. An der Laguna Captren lassen wir unsere Blicke über die gefrorene Wasserfläche streifen. An diesem verzauberten Ort fühlen wir uns wie die ersten Menschen auf Erden.
Andächtige Stille in der Gruppe. Nach diesem magischen Moment tasten wir uns an den mächtigen Llaima heran, aber drehen bald wegen der Wetterbedingungen um. Zurück am Fahrzeug gibt´s erstmal einen Mate zum aufwärmen. Ein gängiges Ritual hier: einer schenkt immer nach und reicht den Mate durch die Runde. Zurück im Ort besuchen wir das bescheidene aber herzliche Restaurant von Andrés Neffen. Wir wärmen uns am Holzofen und zum ersten Mal kommen wir in den Genuss einer Chorillana. Ein üppiger Haufen aus Bratkatoffeln, Zwiebeln, gebratenen Würsteln, Rindfleisch und Spiegeleiern. Dazu gibt´s, wie zu fast allem hier: Aji, eine scharfe Chili Sosse. Buen provecho!
Am folgenden Tag verabschieden wir uns vom Personal der Suizandina Lodge und fahren weiter nach Pucón. Unser neuer Fahrer für den zweiten Teil der Reise bis Puerto Montt heißt Max. Gerade rechtzeitig zum Mittagessen erreichen wir Temuco, die Hauptstadt der Region. In der urigen Markthalle erwartet uns ein fulminantes MIttagessen. Der Pazifik läßt grüßen! Eine Vielzahl von Spezialitäten aus dem Meer erwartet uns: Paila marina (traditionelle Fischsuppe), Ceviche (roher Fisch), Congrio Filet, gegrillte Merluza und Locos (Abalone-Muscheln). Einfach köstlich. Ein kulinarisches Highlight! Angenehm satt geht´s weiter, vorbei am malerisch schönen Villarica See nach Pucon. Der Villarica Vulkan verbirgt sich heute hinter dichten Wolken. Am Abend planen wir die folgenden Tage. Ein Sonnenfenster ist endlich in Aussicht! Unsere Ziele: der mächtige Lanin und natürlich der Villarica, der bestechende Hausberg von Pucon. Der erste Tag sagt die besten Verhältnisse voraus, also starten wir mit dem Lanin. An einem Tag ein ambitioniertes Ziel, weil die lange Tour normalerweise in 2 Tagen gemacht wird. Wir entscheiden uns zwei Gruppen zu bilden, für den Fall dass nicht alle Teilnehmer den Gipfel erreichen.
All along the Watchtower: „Lanin“
Der Lanin: ein freistehender Gigant mit 3747m der höchste Vulkan in der Gegend. Der Leistungsdruck bei der Tour ist hoch, denn stolze 2600 Höhenmeter Aufstieg trennen uns vom Gipfel.
Um 3:00 klingelt der Wecker. Die ganze Nacht hat es sehr stark geregnet und es ist immer noch bewölkt, doch schon bald soll es aufklaren. Ich öffne erstmal die Balkontür, nehme einen tiefen Atemzug frischen Morgenluft und hoffe, dass das Wetter mitspielt. Bei Morgengrauen haben wir den Ausgangspunkt der Tour erreicht. Dichter Nebel umgibt uns. Nervosität liegt in der Luft. Mit den Skiern auf dem Rucksack bahnen wir uns einen Weg durch das Walddickicht. Bald treffen wir auf den ersten harschigen Schnee und ich kann endlich das aus der miserablen Karte erkenntliche Kar erahnen. Es kann losgehen! Der Aufstieg ist anfangs holprig und zäh über hartgefrorene Lawinenkegel bis sich das Gelände öffnet. Wir finden einen guten Rhythmus und gewinnen in weit ausholenden Kehren schnell an Höhe. Langsam lichtet sich der Nebel: das langersehnte Blau des Morgenhimmels scheint mit jedem Meter nach oben etwas mehr hindurch. Von einem Augenblick auf den anderen stehen wir über einem grenzenlosen Wolkenmeer. Andächtiges Staunen. Freude. Jubel. Wir strahlen uns an: auf diesen Moment haben wir seit Beginn der Reise gewartet.
Trotz Jubel müssen wir aber mit den Gedanken bei der Sache bleiben. Weiter oben an der Hangkante vernehme ich deutliche Windzeichen die nichts Gutes verheißen: Dort hat es Triebschnee auf die feuchte Unterlage geschneit, und wir befinden uns in einem riesigen Lee-Kessel. Es wird zusehends wärmer. In mir erwachen Bedenken über die Lawinensituation bei der Abfahrt. Ich nehme mir feste Umkehrzeiten vor, damit es bei der Abfahrt nicht zu spät wird. Mit großen Abständen schnaufen wir uns nach oben.
Immer wieder schweift der Blick hinaus über das grenzenlose Wolkenmeer und motiviert zum Weitergehen. Alle Gruppenmitglieder geben ihr Bestes und halten bis zum Ende des großen Kessels gut durch. Einzeln queren wir über die eingewehte Hangkante hinaus. Die Einwehungen sind zum Glück weniger als gedacht und wir können sie umgehen. Die Hälfte der Höhenmeter ist hier geschafft. Wie am Vorabend besprochen trennen wir uns hier und Fernando geht mit einem Teil der Gruppe ein langsameres Tempo weiter, diejenigen mit Gipfelambitionen kommen mit mir. Etwa bei der 2000 Hm Marke wollen auch die Oberschenkel ein Wörtchen mitreden, die Spurarbeit durch recht wechselnde Schneequalitäten macht es nicht leichter, zudem bilden sich ständig Stollen unter den Fellen. Noch liegen wir gut in der Zeit, doch es wird knapp.
300 Hm vor dem Gipfel wechseln wir von Skiern auf Steigeisen. Ab hier besteht die gesamte Schneeoberfläche aus auffälligen Anraumstrukturen. Ein Eislabyrinth: Surreale Eisskulpturen der Natur, die an erstarrte Wolken und Pilze erinnern. Wunderschön, aber auch anstrengend ist dieser letzte Teil des Anstiegs. Gerade noch rechtzeitig stehen wir auf dem windstillen Gipfel des Lanin. Endlich. Ein euphorischer Glücksmoment. Ein Panorama alla Flugzeug eröffnet sich: die Weite der Anden auf der einen Seite, die Weiten der Ebene und des Pazifiks auf der anderen. Vulkane überall. Es bleibt bei einem kurzen Aufenthalt auf dem Gipfel, dann geht es schon wieder runter. Die Zeit drängt. Die Sonne arbeitet, die Lawinengefahr steigt langsam an.
Ein zügiger Abstieg über das Eislabyrinth und wir treffen wieder auf die anderen Gruppenmitglieder, die es sich mittlerweile an einem aussichtsreichen Platz in der Sonne gemütlich gemacht haben. Hier im oberen Teil finden wir sogar noch eine traumhafte Pulverauflage, ein absoluter Fahrgenuss. Fast ohne Flachstücke geht es nun über 2000 Hm hinunter.
Einzeln fahrend queren wir über die Hangkante zurück in den Kessel hinein.
Der Schnee wird plötzlich sehr nass und schwer zu fahren. Die Sonne hat hier bereits volle Arbeit geleistet. Keine Zeit mehr zu verlieren! Defensiv arbeiten wir uns von einem sicheren Sammelpunkt zum nächsten. Links und rechts kleine oberflächige Schneerutsche. Doch nach einigen 100 Hm treffen wir bereits wieder auf traumhaften Firn und genießen noch einmal die letzten Schwünge dieser phänomenalen Abfahrt. Jetzt können wir uns alle gemeinsam freuen und kurz darauf erreichen wir Max, der schon mit seinem Fahrzeug wartet. Bei der Rückfahrt halten wir noch einmal inne, an einem wunderschönen Rastplatz unter Araukarien. Erst jetzt können wir den Lanin in seiner vollen Pracht bestaunen. Ein Vulkan der Superlative! Fröhliche Jubelstimmung bei der Rückfahrt. Vor uns sehen wir bereits das Ziel von morgen: den rauchenden Villarica!