So friedlich und einmütig war die Atmosphäre am Sudelfeld jedoch nicht immer. Bereits im Vorgriff auf die Gemeindegebietsreform von 1972 beantragte der damalige Bayrischzeller Bürgermeister Alois Kastl eine Umwidmung des Sudelfelds nach Bayrischzell. Das schlug bei den Bürgern der damals noch bestehenden Gemeinde Niederaudorf wie eine Granate ein. Der große Streit ums Sudelfeld war da. Waren doch eine ganze Reihe von Niederaudorfer Bauern Grundeigentümer (und sind es heute noch).
Was bedeutete eine solche „Umwidmung“? Verlief die Grenze zwischen den Gemeinden Bayrischzell und Niederaudorf bisher vom Sudelfeldsattel am Westhang des Waldkopfs entlang bis etwa zur Mittelstation und dann ziemlich gerade am Kammrücken zum Vogelsanggipfel, so war jetzt von den Bayrischzellern geplant, diese Grenze ab der Mittelstation weit nach Osten vorzuschieben. Mehrere hundert Hektar Niederaudorfer Gemeindegebiets sollten so nach Bayrischzell kommen. Außerdem deckte sich mit dieser Gemeindegrenze auch die Grenze zwischen den Landkreisen Miesbach und Rosenheim; also würde sich Bayrischzeller Plänen auch diese Landkreisgrenze verschieben.
Sinn und Zweck dieses Antrags bei der Regierung war es, das Skigebiet und somit die Liftanlagen des Mittleren Sudelfelds auf Bayrischzeller Gemeindegebiet zu holen. Floss doch ein großer Teil der Gewerbesteuer aus den Liftanlagen nach Niederaudorf, auf dessen Gemeindegebiet sie bisher standen, obwohl – mit Ausnahme des Rosengassenlifts – die anlagen Bayrischzeller Unternehmern gehörten. Außerdem – so wurde argumentiert – sei die skisportliche Entwicklung des Skigebiets immer schon von Bayrischzell ausgegangen und dorhin orientiert gewesen!
Die Niederaudorfer (nach der Gemeindegebietsreform die Oberaudorfer, die heute mit Niederaudorf eine Gemeinde bilden) pochten dagegen auf die Grundbesitzverhältnisse sowie auf die historisch gewachsene Almerschließung von Niederaudorf her. Sie legten Widerspruch bei der Regierung ein. Bald wurde das Ganze „gerichtsmaßig“. Verschiedene Instanzen entschieden einmal für die Bayrischzeller, einmal für die Niederaudorfer, bis schließlich das Bundesverwaltungsgericht in Berlin 1976 in einem höchstrichterlichen Urteil das Sudelfeld den „Zellern“ zuschlug. Der Groll auf der Niederaudorfer/Oberaudorfer Seite war deshalb lange Zeit ebenso groß wie der Triumph auf der Bayrischzeller Seite. Wenn auch der Grant aufgrund der fast sechsjährigen Streiterei inzwischen weitgehend verraucht ist, ganz vergessen hat man die Sache auch nach fast 40 Jahren noch nicht.
Der Grenzverlauf ist durch das erwähnte Gerichtsurteil heute äußerst kurios. Der Skifahrer merkt davon zwar nichts, aber lustig ist das schon: Wer heute aus dem neuen Waldkopflift aussteigt, wechselt sofort von Oberaudorf nach Bayrischzell. Der Rankenlift verläuft zwar vollständig auf Oberaudorfer Gebiet, bei der Abfahrt zurück zu seiner Einstigsstelle fährt man im oberen Teil genau auf der Gemeindegrenze; das heißt, nach links ausholende Schwünge finden in Oberaudorf statt, und auf der rechten Pistenhälfte befindet man sich in Bayrischzell. Beim Doppelschlepper zum Sudelfeldkopf steigt man ebenfalls auf Bayrischzeller Gebiet ein, bleibt während der ganzen Auffahrt in Bayrischzell, steigt aber schließlich in Oberaudorf aus, denn den Gipfel haben die Oberaudorfer behalten dürfen.
Der Rosengassenlift liegt dagegen voll und ganz auf Oberaudorfer Gebiet. Damit dies auch nach 1976 so blieb, macht die Gemeindegrenze, die hier am Kamm entlang verläuft, bei der Bergstation eine seltsame Ausbuchtung in Form eines nur wenige Meter breiten und etwa 30 Meter langen Korridors in Richtung Westen. Wer aber bei der Bergstation die Spur verlässt, steht sofort wieder auf Bayrischzeller Gebiet.
Ein anderes heftig umstrittenes Projekt wurde Anfang der Fünfzigerjahre von den bayerischen Energieversorgungsunternehmen Isar-Amperwerke und Bayernwerk entwickelt. Der Hochkessel des Sudelfelds sollte – nach dem Bau einer Staumauer etwa in Höhe Grafenherberg – überflutet werden. Ein weiterer Stausee sollte dann den Auerbach in Höhe Rechenau auffangen. Das Wasser beider Seen hätte durch ein Druckstollensystem durch das Wildbarrenmassiv zu einem Kraftwerk geführt werden sollen, das bei Kirnstein geplant war. Vermutlich wegen der zu erwartenden geringen Energieausbeute von nur 40 Millionen Kilowattstunden pro Jahr und sicher auch wegen des massiven Widerstands von Bauern, Jägern, Bergsteigern, Naturschützern und der betroffenen Inntalgemeinden verschwand dieses Projekt – hoffentlich für immer – in den Schubladen oder Papierkörben der Energieversorger.